Digitaler Nachlass – Erbschaft von Facebook-Chats (BGH, Urt. v. 21.06.2018 – III ZR 183/17)
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Relevanz
Moderne Zeiten verlangen moderne Urteile. Das BGB trat am 01. Januar 1900 in Kraft, weshalb das darin enthaltene Erbrecht viele Schnittstellen der heutigen Zeit noch nicht erfassen konnte. So auch die Frage, ob ein Facebook-Account ohne Weiteres vererbt werden kann. Relevant wurde diese Problematik für den BGH erstmals im Jahre 2018. Für Klausuren im Jurastudium dürften vor allem die Ausführungen zum Wesen des Vertrags interessant sein.
Sachverhalt
Nach dem tödlichen Zugunglück ihrer Tochter wollten die klagenden Eltern 2012 auf das Facebook-Profil der Verstorbenen zugreifen. Sie erhofften sich neue Erkenntnisse über den Unfall, die sie in den Chats ersuchten. Der Account war allerdings schon in den Gedenkzustand versetzt und ein Zugriff somit nicht mehr möglich. Die entsprechenden Regeln zum Gedenkzustand waren im Hilfebereich von Facebook abrufbar. In den AGB wurde darauf aber nicht verwiesen.
Da Facebook den Eltern den Zugriff auf den Account ihrer Tochter verweigerte, klagte die Mutter (im Folgenden: Klägerin) zunächst vor dem Landgericht Berlin auf gerade diesen Zugriff. Hierzu führte sie aus, dass sie und der Vater den Zugang benötigen, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten gehegt habe. Außerdem könne sie so die Schadensersatzansprüche des betroffenen Zugführers abwehren. Die persönlichen Kommunikationsinhalte seien ihrer Begründung nach an die Erbengemeinschaft, also sie und den Vater, vererbt worden. Dem stehe auch nicht der Schutz des Fernmeldegeheimnisses aus § 88 TKG entgegen, da diese Norm auf die Beklagte weder in persönlicher noch in sachlicher Hinsicht anwendbar sei. Außerdem seien die Nutzungsbestimmungen zum Gedenkzustand gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Auch an den Datenschutz der Chat-Partner ihrer Tochter hatte die Klägerin gedacht: Dieser trete ihrer Ansicht nach im Rahmen der praktischen Konkordanz hinter dem Zugangsanspruch der Erben zurück.
Das Landgericht gab der Klage statt. Der Vertrag der Tochter über die Nutzung der Facebook Dienste gehe wie jeder andere schuldrechtliche Vertrag auf die Erben über. Auch stelle der Gedenkzustand eine unangemessene Benachteiligung der Erben dar, da ein beliebiger Freund auf Facebook diesen veranlassen könne. Daraufhin legte Facebook Berufung beim Kammergericht Berlin ein, welches die Klage der Mutter abwies. Diese machte daher von der zugelassen Revision Gebrauch und verfolgte ihre Klagebegehren schließlich vor dem BGH.
Problem
Grundsätzlich kann ein bestehendes Vertragsverhältnis gem. § 1922 BGB auf die Erbengemeinschaft übergehen. Dies kann zwar wirksam durch vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen sein – die AGB von Facebook regelten diesbezüglich aber nichts. Vielmehr war fraglich, ob sich die Unvererbbarkeit des Facebook-Profils aus dem Wesen des Vertrags ergibt und/oder ob der Schutz des Fernmeldegeheimnisses aus § 88 TKG dem Zugriff der Eltern entgegensteht.
Lösung
In der Begründung führte der dritte Zivilsenat zunächst an, dass das KG Berlin zutreffend davon ausging, dass die Beklagte und die Tochter der Klägerin mit Einwilligung ihrer Eltern einen schuldrechtlichen Vertrag über die Einrichtung und Nutzung eines Facebook-Accounts geschlossen haben. Daraus ergebe sich, dass dieses Vertragsverhältnis mit seinen Rechten und Pflichten nach § 1922 BGB auf die Erben übergegangen ist. Die Vererbbarkeit des aus dem Vertrag folgenden Anspruchs auf Zugang zu dem Account sei weder durch vertragliche Bestimmung ausgeschlossen, noch ließe sich ein solcher Ausschluss aus dem Wesen des Vertrages herleiten.
Außerdem sei eine Differenzierung nach Art des Inhalts der auf dem Account gespeicherten Daten abzulehnen. Hierzu führte der BGH aus, dass die Nutzungsbedingungen von Facebook die Vererbbarkeit des Accounts und dessen Inhalte gar nicht erst regeln. Insofern hat sich der BGH also nicht damit beschäftigen müssen, ob in AGB die Vererbbarkeit des vertraglichen Nutzungsverhältnisses überhaupt wirksam ausgeschlossen werden kann. Diese Frage hätte sich an dieser Stelle durchaus ergeben können. Und unabhängig davon schließen die Facebook-Regelungen zum Gedenkzustand diese Vererbbarkeit nicht aus. Sie verändern nämlich nachträglich einen wesentlichen Inhalt der Ansprüche aus dem Nutzungsvertrag und halten einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, 2 BGB nicht stand.
Prinzipiell kann der Inhalt eines Rechts außerdem in so einer Weise auf eine bestimmte Person zugeschnitten sein, dass sich bei einem Subjektwechsel – also hier dem Erbfall – die Leistung in ihrem Wesen verändern würde. Dazu erläuterte der BGH aber, dass die Pflichten der Vertragsparteien nicht höchstpersönlicher Natur seien. Lediglich die Inhalte, welche die Nutzer von Facebook generieren, seien persönlichkeitsrelevant. Die technische Übermittlung dieser Inhalte entspräche der wesentlichen Vertragspflicht von Facebook, die auch unverändert den Erben gegenüber erbracht werden könne. Zwar stimme die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass das Vertragsverhältnis auf den Kontoberechtigten zugeschnitten und insofern personenbezogen ist. Dies führe aber nicht zur Unvererbbarkeit des Zugangs zum Account, sondern höchstens dazu, dass die aktive Weiternutzung nicht vom Erbe umfasst ist. Dies sei aber nicht Gegenstand des Rechtsstreits und könne somit dahinstehen.
Auch die Anwendbarkeit von § 88 TKG wurde vom BGH verworfen. Zwar umfasse dessen Schutzbereich den Inhalt und die Umstände der über den Dienst der Beklagten ausgetauschten privaten Nachrichten und der mit einem begrenzten Nutzerkreis geteilten Inhalte. Die Vererbung des Zuganges auf den Account erfülle jedoch schon gar nicht die Anforderungen des § 88 Abs. 3 TKG. Hiernach darf Facebook keinem „anderen“ Kenntnis vom Inhalt der Kommunikation verschaffen. Der Erbe, der vollständig in die Position des Erblassers einrücke, sei aber kein „anderer“ in dem Sinne. Dies folgt aus § 1922 BGB.
Schließlich kam der BGH noch auf die DSGVO zu sprechen. Die Tochter selbst war hiervon nicht betroffen, da die Verordnung nach Maßgabe des Erwägungsgrundes 27 nicht auf die Daten Verstorbener anzuwenden ist. Auch die datenschutzrechtlichen Belange der Kommunikationspartner der Tochter standen der Vererbung nicht entgegen. Zwar können die privaten Nachrichten und Posts der anderen grundsätzlich personenbezogene Inhalte darstellen oder beinhalten. Jedoch sei die Übermittlung und dauerhafte Bereitstellung dieser an die Erben zulässig. Hierbei geht es einerseits um die Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DSGVO und um die berechtigten und überwiegenden Interessen der Erben nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO.
Der Senat hob daher das angefochtene Berufungsurteil auf und bestätigte somit das erstinstanzliche Urteil des Landesgerichts Berlin. Wenigstens auf rechtswissenschaftlicher Ebene ist also die Frage nach dem digitalen Nachlass des Facebook-Accounts geklärt. Wie Facebook selbst dies handhabt, zeigte sich Anfang 2019: Die klagende Mutter des eben beschrieben Urteils musste gegen Facebook nämlich noch einen Zwangsgeldbeschluss durchsetzen. Die Plattform hatte ihr nur einen USB-Stick mit einer 14.000 Seiten langen PDF überreicht, nicht jedoch den direkten Zugang gewährt. Aus praktischer Sicht lernt man daraus: um den eigenen digitalen Nachlass sollte man sich früh selbst kümmern. Das geht bei Facebook direkt in den Einstellungen, wo man bspw. einen digitalen Erben bestimmen kann.
Entscheidung:
BGH, Urt. v. 12.07.2018 – III ZR 183/17 (NJW 2018, S. 3178 ff.)
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