Allgemeine Grundrechtsprüfung
Prüfungsaufbau Grundrechte:
Prüfungsaufbau des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes:
Zum Volltext:
Eine Sache haben die Grundrechte gemeinsam: Den allgemeinen Prüfungsaufbau. Grundsätzlich muss zwar zwischen Freiheits- und Gleichheitsgrundrechten unterschieden werden; der relevanteste Prüfungsaufbau sollte jedoch der der Freiheitsgrundrechte sein. Das liegt einfach daran, dass sie in der Überzahl sind und gerne geprüft werden. Folgendes Schema muss daher beherrscht werden:
Freiheitsgrundrechte I. Schutzbereich 1. Persönliche 2. Sachlich II. Eingriff III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Schranken 2. Schranken-Schranken
Im Rahmen des persönlichen Schutzbereiches gilt es zunächst festzustellen, ob es sich um ein Deutschen- oder Jedermann-Grundrecht handelt. Das lässt sich jeweils am Wortlaut ermitteln (z.B. „jedermann“ oder „jeder Deutsche“). Ausländer genießen nur bei den Jedermann-Grundrechten generellen Grundrechtsschutz. Deutschen-Grundrechte sind ausschließlich den deutschen Staatsbürgern zugesprochen. Bei möglichen Verletzungen solcher Grundrechte können sich Ausländer nur auf die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG berufen. Auch EU-Bürger fallen eigentlich nur unter Jedermann-Grundrechte. Teilweise wird jedoch vertreten, dass aufgrund des Diskriminierungsverbots aus Art. 18 I AEUV auch Deutschengrundrechte bei EU-Bürgern Anwendung finden müssen. Im Zweifelsfall dürften beide Ansichten vertretbar sein.
Weiterhin muss im sachlichen Schutzbereich vor allem der Inhalt des Grundrechts bestimmt und auf den jeweiligen Sachverhalt angewandt werden. Hier gilt es, die Kenntnisse der einzelnen Schutzbereiche abstrakt wiedergeben zu können. Die Anwendung auf den Sachverhalt fällt dann meistens vergleichbar leicht.
Ist der Schutzbereich bestimmt und auch im konkreten Fall eröffnet, stellt sich die Frage nach dem Eingriff in das jeweilige Grundrecht. Der Eingriffsbegriff ist zweideutig bestimmbar, da sich die Einschätzung der Rechtsprechung zu Grundrechtseingriffen über die Jahre verändert hat. Nach dem klassischen Eingriffsbegriff liegt dann ein Eingriff vor, wenn die hoheitliche Handlung final, unmittelbar, durch Rechtsakt sowie mit Befehl und Zwang durchsetzbar eine grundrechtlich geschützte Position verkürzt. Liegt eine der Voraussetzungen nicht vor, ist aufgrund der restriktiven Definition der moderne Eingriffsbegriff anzuwenden: Hiernach ist die finale (also darauf „abzielende“) oder nicht nur bagatellartige Betroffenheit einer Grundrechtsposition für einen Eingriff ausreichend. Es muss daher in einer Klausur zunächst ausschließlich der klassische Eingriffsbegriff angesprochen werden. Dieser ist in vielen Fällen auch einschlägig, weshalb der moderne Eingriffsbegriff dann nicht zur Geltung kommt. Geht es aber um einen „mittelbaren“ Eingriff, scheitert der klassische Eingriffsbegriff an seinen engen Voraussetzungen. Dann muss alternativ der moderne Eingriffsbegriff herhalten. Ein „Streitentscheid“ zwischen beiden Begriffen erfolgt nicht, vielmehr reicht die Bejahung des Eingriffs nach irgendeinem Eingriffsbegriff aus.
Liegt ein Eingriff vor, ist noch nicht viel über die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde gesagt. Es muss nämlich streng zwischen einem Eingriff und einer Verletzung des Grundrechts unterschieden werden. Eine Grundrechtsverletzung liegt nur dann vor, wenn der Eingriff nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist. Grundrechte gelten nämlich entgegen teils in der Bevölkerung vertretenen Auffassung nicht unbeschränkt. Sie unterliegen sogenannten „Schranken“, typischerweise in der Form von Gesetzesvorbehalten. Grundsätzlich existieren einfache Gesetzesvorbehalte in den Grundrechten. Für eine solche Beschränkung benötigt es eines regelnden Parlamentsgesetzes, welches alle wesentlichen Bedingungen der Schranke festlegt. Im Gegensatz hierzu werden bei einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt besondere Anforderungen an das beschränkende Gesetz gestellt (wie z.B. allgemeines Gesetz in Art. 5 II GG). Grundrechte können jedoch auch vorbehaltlos gewährleistet sein. Das bedeutet, dass diese nur durch eine Kollision mit anderen Grundrechten in Form von verfassungsimmanenten Schranken begrenzt werden können. Hierbei ist erst recht ein ermächtigendes Gesetz erforderlich. Welche Art von Schranke vorliegt, kann in den meisten Fällen aus dem Wortlaut erschlossen werden. Die problematischen Fälle werden in den jeweiligen Lektionen zu den speziellen Grundrechen noch behandelt.
Die Schranken selbst unterliegen jedoch auch wieder einer Einschränkung, der sogenannten „Schranken-Schranken“. Für diese gibt es kein festes Schema; vielmehr muss die Einschränkung des Grundrechts unter allgemein verfassungsrechtlichen Maßstäben geprüft werden. Darunter fallen z.B. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Zitiergebot, das Verbot eines Einzelfallgesetzes gem. Art. 19 I S. 1 GG, die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG und das Bestimmtheitsgebot. Insbesondere die Verhältnismäßigkeitsprüfung sollte dabei im Schlaf beherrscht werden, da diese in so gut wie allen Grundrechtsklausuren geprüft werden muss und meistens den Schwerpunkt darstellt. Ihr Schema lautet wie folgt:
1. Legitimer Zweck Der verfolgte Zweck muss legitim sein. 2. Geeignetheit Bloße Zweckförderlichkeit des Mittels ist ausreichend. 3. Erforderlichkeit Liegt vor, wenn es kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckerreichung gibt. 4. Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.) Angemessen, wenn der beabsichtigte Zweck nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs steht (Prüfungsschwerpunkt).
Besonderer Augenmerkt sollte vor allem dann auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung gelegt werden, wenn Grundrechte verschiedener Bürger miteinander kollidieren. In diesem Fall sind die entsprechenden Grundrechte nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz so in einen Ausgleich zu bringen, dass sie jeweils eine optimale Wirkung entfalten können. Erfolgt deren Beschränkung durch ein allgemeines Gesetz, ist dieses außerdem in seiner das Grundrecht beschränkenden Wirkung im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts zu sehen und zu deuten (Wechselwirkungslehre). Diese sehr abstrakt formulierten Regeln besagen im Grunde nur, dass einerseits besonders gewichtigen Grundrechten wie bspw. der Meinungsfreiheit auch in einer Abwägung besonderes Gewicht verliehen werden muss, während andererseits das „leichtere“ Grundrecht des Gegenübers ebenfalls Beachtung finden muss.
Zuletzt muss noch über die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte gesprochen werden. Der Begriff der Mittelbarkeit folgt dem Prinzip, dass die Grundrechte nur den Staat unmittelbar binden, nicht aber die Bürger selbst. Dennoch kommt unter gewissen Umständen eine mittelbare Wirkung der Grundrechte in privaten Verhältnissen in Betracht. Dies erfolgt insbesondere durch Generalklauseln: Die Schutzwirkung des Grundrechts tritt auch bei bestimmten privatrechtlichen Streitigkeiten ein, wenn bei Auslegung der Generalklausel (wie z.B. § 242 BGB) die durch das Grundgesetz etablierte objektive Werteordnung zu berücksichtigen ist. Eine unmittelbare Drittwirkung ist grundsätzlich auch möglich, muss aber in dem jeweiligen Grundrecht explizit erwähnt werden, wie z.B. bei Art. 9 III 2 GG.
Halten wir zum Schluss dieser Lektion fest: Das Prüfungsschema der Freiheitsgrundrechte muss ohne Wenn und Aber sitzen. Innerhalb der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung spielt die Musik, weshalb in einer Klausur keine Zeit für das Herleiten des Schemas übrig ist. Gefragt ist in Grundrechtsklausuren vor allem eine gewisse Argumentationsfestigkeit unter Anwendung allgemeiner Verfassungsprinzipien, während die Bestimmung des Schutzbereiches der Grundrechte optimalerweise in relativ kurzer Zeit erfolgt. Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Grundrechten während der Lernphase unabdingbar. |