Zur Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten – Verhältnismäßigkeit (BVerwG, Urt. v. 26.09.2019 – 2 C 33/18)
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- Zugang Klassiker Urteile, Öffentliches Recht
Relevanz
Aus rechtspolitischer Sicht ist die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte zwar umstritten, weitläufig wird jedoch mehr Transparenz in polizeiliches Handeln gefordert. Aus juristischer Sicht wirkt dieses Thema deshalb interessant, weil neben dem aktuellen und rechtspolitischen Bezug eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden kann.
Sachverhalt
Zwei Polizeibeamte aus Brandenburg haben gegen die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte geklagt, durchliefen alle Instanzen und verloren schlussendlich vor dem Bundesverwaltungsgericht. Bei der Kennzeichnungspflicht handelt es sich gem. § 9 II BbGPolG um die Pflicht, während Einsätzen in geschlossenen Hundertschaften eine zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeignete Kennzeichnung zu tragen. Die beiden Polizeibeamten sahen sich hierdurch in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I, 1 I GG verletzt. Hiernach soll der Einzelne dazu berechtigt sein, frei über die Verwendung persönlicher Informationen zu entscheiden.
Problem
Ist die Kennzeichnungspflicht gegenüber Dritten innerhalb von Hundertschaften verhältnismäßig?
Lösung
Das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann nach eingehender Rechtsprechung dann eingeschränkt werden, wenn ein überwiegendes Allgemeininteresse gegenübersteht, weshalb eine Beeinträchtigung verhältnismäßig sein kann.
Verhältnismäßigkeit
Innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung müssen das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Allgemeininteresse innerhalb der Verhältnismäßigkeit in Ausgleich gebracht werden. Die Verpflichtung zur Kennzeichnung der Polizisten müsste verhältnismäßig sein.
Ein legitimer Zweck müsste vorliegen. Der Gesetzgeber verfolgt mit der in § 9 II BbGPolG gefassten Kennzeichnungspflicht das Ziel der Vorbeugung von Straftaten durch Polizisten. Ebenfalls wird polizeiliches Handeln für den Einzelnen transparenter und die Aufklärung von Straftaten wird vereinfacht. Eine erleichterte Aufklärbarkeit von polizeilichem Fehlverhalten stärke die Rechtsbindung der Verwaltung. Die Vermeidung von Straftaten und deren Verfolgung diene der Verwirklichung des Rechtsstaats, weshalb diesem Ziel eine hohe Bedeutung zukomme. Ein legitimer Zweck liegt vor.
Das Mittel des Gesetzgebers müsste geeignet sein. Geeignet sind Mittel, die der Zweckerreichung dienlich sind. Gekennzeichnete Polizeibeamte können in Hundertschaften deutlich leichter im Nachhinein identifiziert werden. Straftaten können hiermit schneller aufgeklärt werden. Das Mittel fördert also die Zweckerreichung und ist somit geeignet.
Mithin müsste die Kennzeichnungspflicht auch erforderlich sein. Erforderlich ist ein Mittel, wenn es keine milderen und gleich geeigneten Mittel zur Zweckerreichung gibt. Milder könnte es sein, wenn Polizeibeamte freiwillig entscheiden könnten, ob sie sich kennzeichnen oder nicht. Das würde jedoch den Zweck nicht in dem Maße fördern, wie von dem Gesetzgeber angestrebt. Die Kennzahlen sind für sich genommen bereits eine mildere Alternative zu Namensschildern. Somit ist das Mittel auch erforderlich.
Der verfolgte Zweck müsste angemessen sein. Dies ist er, wenn er nicht außer Verhältnis zum eingesetzten Mittel steht. Innerhalb einer Abwägung müssen die informationelle Selbstbestimmung der Polizeibeamten und die Kennzeichnungspflicht gegenübergestellt werden.
Die durchaus schutzwürdigen Polizeibeamten gaben an, Angst um ihre Sicherheit zu haben, sollten die Informationen an feindlich gesinnte Personen geraten. Die beiden Kläger betonten, dass bereits in der Vergangenheit Autospiegel ihrer Privatwagen abgetreten wurden. Wenn etwaige Täter Rache an den Polizeibeamten üben wollten, wäre durch die an der Uniform getragene Kennzahl eine Feststellung der Namen und Adressen der Beamten möglich.
Die Personalien von Staatsanwälten und Richtern sind hingegen auch nicht geschützt, obwohl eine ähnliche Gefährdung bestehen könnte. Hinzu kommt die Tatsache, wie und wann die Kennzahl entziffert und die persönlichen Daten des Beamten herausgefunden werden können. Innerhalb von Hundertschaften tragen Polizeibeamte jedoch nur eine zur nachträglichen Identifikation geeignete Zahlenkombination. Eine direkte Identifikation findet somit nicht statt.
Der verfolgte Zweck ist angemessen. Somit ist § 9 II BbGPolG verhältnismäßig.
Entscheidung
BVerwG, Urt. v. 26.09.2019 – 2 C 33/18.
Weitere Artikel
Grundsatzurteil zur Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten (Jura Online)
Die Verhältnismäßigkeit (Rechtskunde Online)
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