Handlung, Kausali-tät und objektive Zurechnung
Willkommen zur ersten Lektion im Strafrecht AT bei IUDICUM. In dieser Lektion geht es um die absoluten Grundlagen des Strafrechts und vor allem den objektiven Tatbestand. Hierzu gehört neben der Frage, was überhaupt eine „Handlung“ im strafrechtlichen Sinne ist, insbesondere die Kausalitätslehre und deren Einschränkung durch die objektive Zurechnung. Diese Grundüberlegungen begleiten jedes Delikt aus dem Besonderen Teil auf Schritt und Tritt. Daher ist ein entsprechendes fundamentales Wissen unerlässlich.
Strafrechtliches Handeln Doch fangen wir jetzt auch mal an: Was ist eigentlich eine „Handlung“? Und warum stellen wir uns diese Frage überhaupt? Eine Handlung ist nach dem sozialen Handlungsbegriff jedes vom menschlichen Willen beherrschte oder beherrschbare und damit vermeidbare Verhalten (Tun oder Unterlassen). Aus dieser Definition wird auch schon deutlich, warum die „Handlung“ eine erhebliche Bedeutung innerhalb des Strafrechts hat. Es soll nur dasjenige Verhalten eines Menschen bestraft werden, was er auch steuern kann. Anderenfalls würde das Strafrecht den eigenen Zweck missachten. Welcher das ist, wird von verschiedenen Strafgrundtheorien versucht zu definieren. Im Grunde lässt sich festhalten, dass eine strafrechtliche Sanktion sowohl eine allgemeine als auch individuelle repressive und präventive Wirkung entfalten soll. Das Strafrecht hilft der Gesellschaft und dem Einzelnen also dabei, zukünftige Straftaten zu unterbinden, die Täter zu resozialisieren und im Entferntesten auch eine Art Vergeltung zu spüren. Würde jedoch die Reflexbewegung eines Bewusstlosen, der fallende Körper eines Gestoßenen oder gar das Herumschlagen eines Epileptikers eine strafbare Handlung darstellen, könnten die Strafzwecke kaum erfüllt werden. Daher muss die Handlung eines Straftäters eine vermeidbare gewesen sein. Kausalität Können wir einen Verdächtigen nun aber als Mörder überführen, weil er am fraglichen Morgen eine Tasse Kaffee getrunken hat? Immerhin handelt es sich dabei um ein vermeidbares Verhalten? Nein, natürlich können wir das nicht. Die zu bestrafende Handlung muss auch ursächlich für den in Frage stehen Taterfolg sein. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Kausalität. Kausal für einen Mord ist beispielsweise das Schießen mit der Tatwaffe auf das Opfer. Dies kann nämlich nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Taterfolg (der Tod des Opfers) ebenfalls entfiele. Diese Grundüberlegung ist der conditio-sine-qua-non-Formel (Äquivalenztheorie) zu entnehmen, welche in einem Gutachten auch so zu benennen ist. Objektive Zurechenbarkeit Nun lässt sich jedoch recht schnell feststellen, dass auch die Geburt des Täters kausal für die Tötung des Opfers war. Folglich hat auch die Mutter des Täters eine vermeidbare und für den Taterfolg kausale Handlung vollzogen, welche freilich nicht strafbar sein kann. Die Kausalitätslehre geht also zu weit und bedarf einer Einschränkung. Diese wird dadurch erreicht, dass die objektive Zurechenbarkeit des Taterfolgs zu prüfen ist. Ein Erfolg wird dem Täter dann objektiv zugerechnet, wenn er durch seine Handlung eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg verwirklicht hat. Hiervon ist bei einem Pistolenschuss auf das Opfer auszugehen, bei der Geburt des Täters eher nicht. Es handelt sich also um eine Wertungsfrage, bei welcher sich folgende Fallgruppen herausgebildet haben, in welchen der Erfolg dem Täter nicht zuzurechnen ist: 1. Atypischer Kausalverlauf (Verletztes Opfer stirbt auf dem Weg zum Krankenhaus bei einem Unfall) 2. Risiko- / Schadensverringerung (A schubst B auf den Boden, damit er nicht von der Kugel getroffen wird) 3. Dazwischentreten Dritter (B erschießt den durch die Kugel des A verblutenden C) 4. Eigenverantwortliche Selbstgefährdung (Drogenkonsument stirbt nach Heroinüberdosis, Dealer strafbar?) 5. Sozialadäquates Verhalten (Nutzung des Straßenverkehrs) 6. Fehlender Pflichtwidrigkeitszusammenhang (siehe insb. Lektion zur Fahrlässigkeit) Allgemeines Prüfungsschema Aus den obigen Ausführungen ergibt sich das generelle Prüfungsschema: A. Tatbestand I. Objektiver Tatbestand 1. Taterfolg 2. Tathandlung 3. Kausalität 4. Objektive Zurechnung II. Subjektiver Tatbestand B. Rechtswidrigkeit C. Schuld
Halten wir nun zum Schluss dieser Lektion fest: Der objektive Tatbestand ist in seinen Grundmauern ein schnell zu prüfender Punkt, welcher jedoch in problematischen Fällen ausführlich zu behandeln ist. Besonders durch die Vielzahl an Delikten im Strafrecht BT findet der objektive Tatbestand immer wieder Ergänzungen und Sonderfälle, welche im Gesamtbild zu beachten sind. |