Mephisto Urteil – Zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht (BVerfG, Urt. v. 24.02.1971 – 1 BvR 345/68)
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- Zugang Klassiker Urteile, Öffentliches Recht
Relevanz
Der Grundrechte-Klassiker schlechthin und deshalb auch die erste Folge von iudicum: Die Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Hier hat das oberste Gericht eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht vornehmen müssen, die jedem Juristen in seiner Ausbildung mindestens einmal begegnet.
Sachverhalt
Das Buch „Mephisto – Roman einer Karriere“ (1936) von Klaus Mann stellt inhaltlich den Aufstieg des Schauspielers Hendrik Höfgen dar, welcher seine politische Überzeugung leugnet. Dieser trennt sich von allen menschlichen Bindungen, um im Pakt mit den Machthabern des nationalsozialistischen Deutschlands seine künstlerische Karriere zu sichern. Im Fokus stehen dabei die psychischen, geistigen und soziologischen Voraussetzungen, die seinen Aufstieg ermöglichten. Als Vorbild für die Romanfigur diente der Schauspieler Gustaf Gründgens, mit dem Klaus Mann einst auch befreundet war.
Nach dem Tod von Gustaf Gründgens im Oktober 1963 erhob sein Adoptivsohn und Alleinerbe Peter Gorski Klage auf Unterlassung des Weiterverkaufs des Buches durch die Nymphenburger Verlagshandlung. Er begründete dies damit, dass der Roman ein verfälschtes und grob ehrverletzendes Persönlichkeitsbild von Gustaf Gründgens darstelle. Das über den Tod hinauswirkende Persönlichkeitsrecht von Gründgens und das Andenken an ihn werde in nachhaltiger Weise verletzt. Diese Argumentation konnte Gorski vor dem OLG bis zum BGH verteidigen. Infolgedessen sah sich die Nymphenburger Verlagshandlung unter anderem in ihrer Kunstfreiheit verletzt und legte gegen die Urteile Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein.
Problem
Das BVerfG war nun in erster Linie mit der Frage beschäftigt, inwieweit die von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommene Kunstfreiheit im Verhältnis zum geschützten postmortalen Persönlichkeitsbereich Gründgens steht. Außerdem mussten die Karlsruher Richter erstmals den Begriff der Kunst aus verfassungsrechtlicher Sicht definieren.
Lösung
Der BGH legte der Entscheidung den materialen Kunstbegriff zugrunde: Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Die Kunstfreiheit betrifft darüber hinaus in gleicher Weise den “Werkbereich” und den “Wirkbereich” des künstlerischen Schaffens. Beide Bereiche bilden eine unlösbare Einheit. Die Verbreitung des Romans betraf hier den Wirkbereich des künstlerischen Werks, weshalb ein Eingriff in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zuletzt durch das verbietende Urteil des BGH grundsätzlich vorlag.
Folglich stand zur Debatte, ob der Eingriff gerechtfertigt war. Die Kunst ist in ihrer Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorbehaltlos gewährleistet. Für sie gelten weder die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG noch die des Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG. Jedoch kommt der Vorbehaltlosigkeit dieses Grundrechts die Bedeutung zu, dass die Grenzen der Kunstfreiheitsgarantie von der Verfassung selbst zu bestimmen sind. Als Teil des grundrechtlichen Wertesystems ist die Kunstfreiheit insbesondere der in Art. 1 GG garantierten Würde des Menschen zugeordnet. Ebenso kann sie aber mit dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich in Konflikt geraten, weil ein Kunstwerk auch auf der sozialen Ebene Wirkungen entfalten kann. Daher kann eine Spannungslage zwischen der Kunstfreiheit einerseits und sonstigen Grundrechten andererseits entstehen, die eine Rechtfertigung darstellen kann. So wie hier im Fall.
Die Bewertung des OLG und des BGH bezüglich der Spannungslage zwischen den durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Bereichen wurde vom Bundesverfassungsgericht nämlich bestätigt. Diese hätten eingehend und sorgfältig dargelegt, dass die Romanfigur des Hendrik Höfgen in so zahlreichen Einzelheiten dem Leben von Gründgens entspreche, dass ein nicht unbedeutender Leserkreis unschwer in Höfgens die Person Gustaf Gründgens wiedererkenne. Im Roman werde ein grundlegend negatives Charakterbild des verstorbenen Gründgens abgezeichnet, welches in zahlreichen Einzelheiten unwahr sei und verbale Beleidigungen enthalte. Insofern habe das OLG den Roman zutreffend als “Schmähschrift in Romanform” bezeichnet. Es gäbe keine hinreichenden Gründe, dieser von den Gerichten vorgenommenen Wertung entgegenzutreten. Die Verfassungsbeschwerde wurde daher zurückgewiesen.
Entscheidung:
BVerfG, Beschl. v. 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 (NJW 1971, S. 1645 ff.)
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